Es scheint, meine Emotionen haben ein eigenständiges, politisch unkorrektes Leben entwickelt. Oft empfinde ich nicht das, was als angemessen gilt. Letztes Wochenende, als ich die Meldungen über den Sturz des syrischen Präsidenten Baschir al-Assad las, schweiften meine Gedanken zwischen: „Oh nein, noch mehr Flüchtlinge?“ (Sorge) und: „Oh, könnten jetzt viele zurückkehren?“ (Hoffnung).
Nach einigen Artikeln stellte ich fest, wie gefühlskalt und unsensibel ich vielleicht bin. Es sei viel zu früh, um darüber nachzudenken, wie man die Menschen wieder loswird. Selbst Politiker von Union und AfD, die beim Thema Migration auf eine positive Wendung hofften, wurden dafür kritisiert.
Der CDU-Politiker Alexander Throm äußerte im „Handelsblatt“ nüchtern: „Es muss geprüft werden, ob der Schutzstatus nicht wegfällt.“ Daraufhin erhielt er einen Seitenhieb von einem Kommentator des „Spiegel“, der ihm Empathielosigkeit vorwarf.
Wenn man so taktisch mit Fragen nach Schutzstatus und Rückführung umgeht, gilt man schnell als unbarmherzig. Richtig wäre es, den Sturz Assads mit den Syrern zu feiern. Jetzt sei die Zeit des unbändigen Jubels!
Dies verdeutlicht, dass nicht nur bestimmte Ansichten als unangemessen gelten, sondern auch die damit verbundenen Emotionen. Diese werden je nach Kontext als „positiv“ oder „negativ“ bewertet.
Ich bin nicht allein mit meinen Gedanken, denn es gibt bereits Studien zu diesem Phänomen. Der Soziologe Christian von Scheve erklärte im Deutschlandfunk, dass Emotionen immer häufiger zum Streitpunkt werden.
Besonders die Klimabewegung hat es geschafft, Emotionen in den Vordergrund zu rücken. Ein markantes Beispiel ist Greta Thunbergs Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019, in der sie sagte: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich möchte, dass ihr in Panik geratet.“
Thunberg machte die Emotionen zur politischen Forderung und stellte damit Hoffnung in Frage. Stattdessen wird Angst als das richtige Gefühl dargestellt.
Es ist kaum verwunderlich, dass viele Menschen, die sich für das Klima einsetzen, von Gefühlen der Ohnmacht und Depression sprechen. Klimaangst wurde zu einem politischen Statement, und Tränen auf sozialen Medien werden zum Ausdruck dieser Emotionen.
Ich habe erkannt, dass Gefühle politisch sind. Politisch korrekt empfindet, wer nicht nur aufgrund des Klimawandels Ängste hat. Man schämt sich beim Fliegen, fühlt sich gerührt bei der Aufnahme von Flüchtlingen, sorgt sich über hohe Umfragewerte der AfD, verachtet jeden vermeintlichen Fremdenfeind, trauert über Trumps erneute Wahl und zeigt Mitgefühl für Bürgergeldempfänger. Bei der eigenen Nationalflagge sollte man jedoch am besten neutral bleiben.
Die richtigen Emotionen in der passenden Situation zu empfinden, ist gar nicht so einfach. Zum Beispiel nutze ich oft die Bahn, was Klimaschützer erfreuen könnte. Dennoch bringt mich das oft in die Bahnhöfe und deren Umfeld, wo ich mich manchmal unwohl fühle. Grund dafür sind, wie ich sie nenne, „dubiose Figuren“, besonders nachts.
Wer es wagt, in diesem emotionalen Rahmen das Wort „Migration“ zu erwähnen, muss mit heftiger Kritik rechnen. Es gibt Ängste, die als nicht akzeptabel angesehen werden, im Gegensatz zur Besorgnis über den Klimawandel.
Wie der Soziologe von Scheve erklärt, ist nicht die Angst selbst das Problem, sondern die Überzeugungen, die sie begleiten. Man kritisiert letztlich das Weltbild, das dieser Angst zugrunde liegt. „Du verstehst die Welt falsch!“ Schließlich gibt es rational gesehen keinen Grund zur Angst – zumindest nicht aus einer anderen Perspektive. Umgekehrt gibt es jedoch aus dessen Sicht ausreichend Gründe für Panik.
Kein akutes Angstgefühl wegen der Klimakrise zu haben, kann mich als Verharmloser des Klimawandels kennzeichnen. Situationsbedingt Angst vor Straftätern im Kontext der Migration zu haben, wird schnell als Fremdenfeindlichkeit ausgelegt.
Ich war der Meinung, dass Gefühle niemals falsch sein können. Offenbar ist dem nicht so. Daher habe ich ein mulmiges Gefühl, wann mich das nächste politisch inkorrekte Gefühl überkommen wird.
Vielleicht werde ich bald wirklich darüber erfreut sein, dass eine Gruppe Syrer ausreist. Aber ich sollte besser darüber schweigen. Es scheint in Mode zu sein, zu betonen, wie viele Syrer hier Ärzte sind und welche negativen Auswirkungen ihre Abreise auf unser Gesundheitssystem haben könnte.
Ehrlich gesagt würde es mich freuen, wenn nicht nur die Unmotivierten Deutschland verlassen, sondern auch einige gut integrierte Personen. Zwar wäre das tatsächlich ein Verlust für uns, doch könnte es die Hoffnung geben – ja, Hoffnung, liebe Greta – dass wir zumindest ein Stück Demokratie nach Syrien bringen.