Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien hat die Türkei mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Im Jahr 2021 erreichte die Zahl der Geflüchteten mit rund 3,8 Millionen ihren Höhepunkt. Aktuell sind etwa 2,9 Millionen Syrer in der Türkei registriert. Laut dem türkischen Innenminister Ali Yerlikaya haben in der Zeitspanne von 2016 bis 2024 etwa 730.000 syrische Bürger in ihre Heimat zurückgekehrt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat seit den ersten Protesten gegen das Assad-Regime im Jahr 2011 die syrische Opposition aktiv unterstützt. Diese konnte ihre Aktivitäten erfolgreich aus dem türkischen Exil fortsetzen. Die türkische Wirtschaft profitierte von der Präsenz der Flüchtlinge, die als kostengünstige Arbeitskräfte zur Verfügung standen, und syrische Studierende erhielten Zugang zu türkischen Hochschulen.
Trotz zahlreicher politischer und wirtschaftlicher Turbulenzen in der Türkei hat Ankara seine Unterstützung für die syrische Opposition aufrechterhalten, auch als die öffentliche Meinung gegenüber syrischen Flüchtlingen negativ wurde. Nach 14 Jahren plant die regierende AKP nun, die Vorteile ihrer Unterstützung zu ernten.
Abdallah Al Dardari, Regionaldirektor für arabische Staaten beim UN-Entwicklungsprogramm, berichtet, dass das Bruttoinlandsprodukt Syriens von 62 Milliarden US-Dollar auf nur 8 Milliarden US-Dollar gesunken ist. Die Armutsquote ist von 12 auf 65 Prozent angestiegen, und der Wiederaufbau des Landes wird auf etwa 400 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Angesichts dieser enormen Herausforderungen sieht sich die Türkei in einer strategisch wichtigen Position, um am Wiederaufbau Syriens mitzuwirken. Die türkische Regierung pflegt bereits positive Beziehungen zu den neuen Machthabern in Damaskus und strebt eine Beteiligung in Schlüsselbereichen wie Energie, Bauwesen, Textilindustrie, Möbelherstellung und Lebensmittelproduktion an.
Mustafa Gültepe, Vorsitzender der Türkischen Exporteure-Vereinigung (TİM), hebt jedoch hervor, dass vorrangig humanitäre Hilfe notwendig ist. Syrien ist in einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise, und die Stabilität des Landes wird Zeit benötigen. Daher sollte die türkische Wirtschaft zunächst in den Wiederaufbau der grundlegenden Infrastruktur investieren. Gültepe erklärt, dass die Türkei bereit ist, das zu leisten, was das Nachbarland benötigt.
Vor dem Bürgerkrieg betrug das Handelsvolumen zwischen der Türkei und Syrien 1,5 Milliarden US-Dollar, mit dem Ziel, diesen Betrag auf fünf Milliarden zu erhöhen. Nachdem Erdoğan die Opposition unterstützt hat, haben sich die Beziehungen zum Assad-Regime stark verschlechtert, was das ursprüngliche Ziel jedoch in weite Ferne rücken ließ.
Trotz der Spannungen blieben die wirtschaftlichen Beziehungen jedoch bestehen. In den Jahren 2021 bis 2023 überstiegen die türkischen Exporte nach Syrien jeweils 2 Milliarden US-Dollar. Zu den Hauptexportgütern zählten Getreide, chemische Produkte, Elektronik, Stahl und Meeresfrüchte.
Gültepe ist optimistisch, dass die wirtschaftlichen Beziehungen nach der Bildung einer stabilen syrischen Regierung wieder an Fahrt gewinnen werden. Die türkische Stahlindustrie sieht ebenfalls großes Potenzial im syrischen Markt. Veysel Yayan, Generalsekretär des Verbands türkischer Stahlhersteller, schätzt den Bedarf für den Wiederaufbau auf zwei bis drei Millionen Tonnen, wobei Stahl besonders für die Infrastruktur unerlässlich ist. Die geografische Nähe der türkischen Stahlindustrie bietet logistische Vorteile, da eine große Stahlfabrik in Iskenderun nur 400 Kilometer von Syrien entfernt liegt.
Obgleich türkische Unternehmen optimistisch sind, herrscht gegenwärtig eine gewisse Zurückhaltung. Viele Firmen planen, im Frühjahr neue Aktivitäten zu starten, abhängig von der Stabilität der Übergangsregierung bis dahin. Zunächst möchten türkische Firmen Partnerschaften mit lokalen Akteuren eingehen, insbesondere mit solchen, die enge Beziehungen zu dem neuen Regime unterhalten, um Risiken zu minimieren.
Murat Akyüz, Vorsitzender der Istanbuler Exporteure für chemische Erzeugnisse, sieht in den syrischen Rückkehrern wichtige Partner für türkische Unternehmen. Diese könnten durch ihre Kenntnisse beider Märkte als Bindeglied zwischen der Türkei und Syrien fungieren.
Die türkische Regierung zeigt auch ein starkes Interesse an einer raschen Wiederbelebung der wirtschaftlichen Beziehungen. Energieminister Alparslan Bayraktar plant eine Reise nach Damaskus, um die Möglichkeiten für Energiepartnerschaften zu erkunden. Handelsminister Ömer Bolat entsandte kürzlich seinen Stellvertreter nach Damaskus, um die Gespräche über eine intensivere Zusammenarbeit zu vertiefen. Diese Gespräche führten zu zahlreichen Vereinbarungen, die den Handel und Investitionen zwischen beiden Ländern erleichtern sollen.
Aktuell trüben jedoch neue Zollmaßnahmen der syrischen Übergangsregierung die Aussichten für türkische Exporteure. Durch die Harmonisierung der Zollverfahren an allen Landesgrenzen sind die Zölle für türkische Waren um bis zu 500 Prozent gestiegen, was die Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Produkte auf dem syrischen Markt erheblich einschränkt.
Von Elmas Topcu, Aram Ekin Duran